Pressemitteilung

1917 war Schluss mit Abwasser in den Neckar


Eine funktionierende Abwasser-Entsorgung ist gelebte Daseinsvorsorge: In der ältesten Stadt Baden-Württembergs ist die vom ENRW Eigenbetrieb Stadtentwässerung betriebene Kläranlage „In der Au“ für diese wichtige Aufgabe zuständig. Abseits des öffentlichen Bewusstseins verrichtet sie Tag für Tag ihre ungemein wichtige Arbeit. Genau vor hundert Jahren – 1917 – wurde in Rottweil die erste Kläranlage errichtet. Aus Anlass des Jubiläums wird die Geschichte der örtlichen Abwasserentsorgung in einer kleinen Serie vorgestellt. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Zeitspanne vom 18. Jahrhundert bis 1917.       
 
Seit dem Mittelalter verfügten die Städte in Europa weder über eine Kanalisation, noch über Abwasseranlagen. Tierische oder menschliche Fäkalien, gewerbliche Abwässer sowie Haushaltsabfälle verunreinigten nahezu permanent das über Brunnen oder hölzerne Leitungen bezogene Trinkwasser, was letztlich zu wiederkehrenden Pest-, Pocken-, Cholera- und Typhus-Epidemien führte. Doch dieser Zusammenhang wurde nicht erkannt. Als Ursachen für grassierende Seuchen machten die Rottweiler nicht den Wasserkreislauf aus, sondern vielmehr Dämpfe, sogenannte „Miasmen“, die von den Misthäufen und Gruben aufstiegen. Trotz großer Anstrengungen gelang es lange nicht, die Misthäufen und Fäkaliengruben in Rottweil zu verringern, da die Menschen auf Tierhaltung für ihre Versorgung angewiesen waren.
 
In Rottweil lassen sich neben Gruben zur Abwasserentsorgung auch Kanäle, sogenannte „Dolen“, nachweisen, wobei die Einleitung menschlicher Fäkalien untersagt war. 1673 beschloss der Rat, dass alle offene Dolen abgeschafft und nur noch solche unter dem Boden geduldet werden sollten. Da aber längst nicht alle Bürger an diesem Abwassersystem angeschlossen waren, und Dolen die mit Abstand kostspieligste Möglichkeit war, sich des Abwassers zu entledigen, belegen die Totenbücher von Heilig Kreuz auch noch für das 18. Jahrhundert wiederkehrende Seuchen mit zahlreichen Todesopfern.
 
In den Jahren ab 1873 bekam Rottweil eine zentrale Trinkwasserversorgung, welche die zahlreichen Brunnen ersetzte. Zu diesem Zweck wurde im Brunnentäle eine Quelle gefasst und ein Hochbehälter unterhalb des Hochturms angelegt, von dem aus sämtliche Haushalte versorgt werden konnten. Die sanitäre Ausstattung um 1900 beschränkte sich in der Regel auf einen Wasserhahn pro Haus. Die damals üblichen Plumpsklos bestanden jedoch nach wie vor.
 
Ende des 19. Jahrhunderts konnten der Naturwissenschaftler Louis Pasteur und der Mediziner Robert Koch nachweisen, dass für viele Krankheiten Mikroorganismen im durch Fäkalien verschmutzten Trinkwasser verantwortlich waren. Gleichzeitig funktionierte vielerorts die natürliche Reinigung zahlreicher Fließgewässer nicht mehr und endlich wurde landauf landab die Bedeutung einer funktionierenden Abwasserentsorgung erkannt.
 
In Rottweil titelte die Schwarzwälder Bürgerzeitung am 9. Mai 1917: „Erstellung einer allgemeinen Kläranlage“. Der Verfasser führte aus, dass „das Wasser des Neckars in bedenklicher Weise verunreinigt“ sei, die Rohrleitungen verstopfe und für die Pulverfabrik als größte Industrieanlage der Stadt nicht mehr nutzbar wäre. Aus diesem Grund und auch um „den Bürgern der Stadt die seitherige ungesetzliche und unhygienische Ableitung der Abortwasser künftig nach gegenwärtigen Gesichtspunkten in einwandfreier Weise zu ermöglichen“, werde eine Kläranlage erstellt.
 
Das von der Pulverfabrik mitfinanzierte Bauwerk sollte zunächst für 8000 Einwohner ausgelegt sein und so erstellt werden, „dass eine Erweiterung, entsprechend dem Anwachsen der Einwohnerzahl, bzw. Anschluss der weiteren Stadtteile (Altstadt), sowie der Anbau von Tropfkörpern für die biologische Nachreinigung jederzeit möglich ist.“ Entlang des Neckars plante man flankierend eine Kanalsammelleitung, die alle vorhandenen Dohlenausläufe aufnehmen sollte.  
 
Die 1917 in der Au errichtete Kläranlage verfügte über einen sogenannten zweistöckigen „Emscherbrunnen“, in dem die Sinkstoffe des Abwassers aus dem oben liegenden Absetzbecken über stark geneigte Zwischendecken in den darunter liegenden Faulraum wandern, wo das Ausfaulen des abgesetzten Schlammes stattfindet. Für damalige Verhältnisse hatte diese Anlage einen überdurchschnittlichen Reinigungseffekt.

Stadt aus Sicht der Au_ca1910_homepage

Leider gibt es von der ersten Rottweiler Kläranlage, die 1917 erbaut wurde, keine Fotos. Diese Fotopostkarte wurde laut Stadtarchiv um 1910 aufgenommen und zeigt einen Teil der Au in unmittelbarer Nähe zum späteren Standort der ersten Kläranlage. Zu diesem Zeitpunkt floss noch das gesamte Abwasser der Rottweiler ungeklärt in den Neckar. Quelle: Stadtarchiv Rottweil